18. Juli 2019, 9:16 Uhr
Darf ich eigentlich? Überstunden abbauen: Die Regelungen zum Freizeitausgleich
Mehr Zeit für die Kinder, ein verlängertes Wochenende oder ein weiterer Brückentag: Wer Überstunden abbauen kann, gewinnt dadurch mehr Freizeit. Allerdings ist es nicht in jedem Unternehmen üblich, Überstunden entsprechend auszugleichen. Hier erfährst du, unter welchen Voraussetzungen das Pflicht ist und welche Spielregeln beim Überstundenabbau für Arbeitgeber und Arbeitnehmer außerdem gelten.
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Voraussetzung: Überstunden müssen angeordnet oder geduldet sein
Nicht jede Überstunde bewirkt einen Vergütungs- oder Freizeitanspruch. Den haben nur solche, die vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet oder geduldet wurden. Wenn ein Arbeitnehmer abends einfach nur länger am Schreibtisch sitzt und arbeitet, ohne dass der Arbeitgeber davon Kenntnis hat, kann er daraus keine Ansprüche ableiten.
Als Arbeitnehmer bist du nicht verpflichtet, solche unabgesprochenen Überstunden zu leisten – und unbezahlte Überstunden schon gar nicht. Mehr zur Rechtslage rund um Überstunden und Mehrarbeit erfährst du auf unserer Themenseite "Überstunden".
Überstunden: Abbauen oder auszahlen lassen – was ist möglich?
Werden Überstunden ausdrücklich erfasst, dann werden sie in den meisten Unternehmen standardmäßig mit Freizeit ausgeglichen. Viele Arbeits- und Tarifverträge enthalten entsprechende Regelungen.
In solchen Fällen ist es meist nur ausnahmsweise möglich, sich stattdessen die Überstunden auszahlen zu lassen. Zum Beispiel dann, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Überstunden mehr durch Freizeit ausgleichen kann. Bestätigt wurde dies durch ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln (AZ 7 Sa 491/96).
Hat der Arbeitnehmer einen Job in leitender Position, bei dem eine feste Arbeitszeit nicht vorgegeben ist, kann vereinbart werden, dass er im Rahmen der Gestaltung und Organisation seiner Arbeit selbst für den erforderlichen Freizeitausgleich sorgt. Entsprechend hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) geurteilt (AZ 4 AZR 445/93).
Überstundenabbau ist kein Erholungsurlaub
Durch Freizeit abgegoltene Stunden gelten rechtlich nicht als Erholungsurlaub. Diese Unterscheidung ist zum Beispiel wichtig, wenn du als Arbeitnehmer während des Abbummelns von Überstunden krank wirst.
- Wenn du während deines Urlaubs gesundheitlich schwächelst, kannst du eine Krankmeldung einreichen und die angefallenen Krankheitstage später erneut als Urlaub nehmen.
- Beim Abfeiern von Überstunden hingegen ist das nicht möglich: Wer in diesem Zeitraum krank wird, kann die Krankheitszeit nicht wieder seinem Arbeitszeitkonto gutschreiben, um sie später erneut zu nehmen.
- Wer ausdrücklich Überstunden abfeiern möchte, anstatt für denselben Zeitraum Urlaub zu nehmen, muss sichergehen und auch belegen können, dass er auf seinem Arbeitszeitkonto entsprechend viele Plusstunden angesammelt hat. Ist dieser Nachweis nicht konkret möglich, kann der Arbeitgeber im Streitfall verlangen, dass stattdessen Urlaub genommen wird. Entsprechend hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz geurteilt (AZ 5 Sa 204/18).
Überstundenabbau: Darf der Chef den Zeitpunkt bestimmen?
Gibt es keine anders lautende vertragliche Regelung, kann der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen. Das heißt: Er bestimmt, wann Überstunden abgebaut werden, beispielsweise in auftragsschwachen Zeiten. Das Arbeitsrecht enthält keine Bestimmungen, die es Arbeitnehmern erlauben, den Zeitpunkt des Überstundenabbaus nach eigenen Wünschen zu wählen.
Außerdem sollte man die freie Zeit mit dem Arbeitgeber koordinieren, damit Arbeitsabläufe nicht durch Mitarbeitermangel gestört werden. Oft werden Überstunden deshalb innerhalb eines kurzen Zeitraums wieder abgebaut, damit nicht zu viele von ihnen auf dem Zeitkonto auflaufen.
Besteht in einem Arbeitsvertrag eine Klausel, die den Abbau von Überstunden durch Freizeit ausschließt, muss der betreffende Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die aufgelaufenen und erfassten Überstunden zwingend vergüten.
Übrigens: Steht im Arbeitsvertrag die Klausel, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind, muss sie auch eine Aussage darüber treffen, wie viele Stunden das genau sind – sonst ist sie null und nichtig. Mehr zu diesem Thema liest du in diesem Streitlotse-Ratgeber.
Bei Überstunden ohne Regelung: Das Gespräch mit dem Chef suchen
Wen du ständig länger arbeitest und es keine klare Regelung in deinem Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag gibt, musst du den Dialog mit deinem Arbeitgeber suchen. Er muss eine Regelung finden. Das kann bedeuten, dass er zusätzliches Personal einstellt oder die Arbeitsabläufe anders organisiert.
Vorsicht ist geboten, wenn der Arbeitgeber als Lösung einen Bonus oder eine Gehaltserhöhung anbietet: Eine akzeptierte Erhöhung des Gehalts könnte als Einverständnis für weitere ungeregelte Überstunden verstanden werden. Boni haben den Vorteil, dass sie die ständige Mehrarbeit nicht dauerhaft festlegen, sind aber oft aus steuerlicher Sicht nicht so attraktiv.
Kommt es beim Gespräch mit der Geschäftsführung zu keiner Einigung, brauchst du Unterstützung. Das können Kollegen sein, die zusammen mit dir erneut den Dialog mit deinem Arbeitgeber suchen, oder auch der Betriebsrat. Kommt es dabei zu keiner Lösung, kann der nächste Weg zum Beispiel zu einem Fachanwalt für Arbeitsrecht führen.
Fehlt im Arbeitsvertrag lediglich der Anspruch auf Freizeitausgleich bei Überstunden, hat ein Gespräch mit dem Arbeitgeber potenziell gute Erfolgschancen. Der Grund: Als Alternative kann er anfallende Überstunden nur auszahlen, wenn sie konkret erfasst sind.
- Der Überstundenabbau durch Freizeitausgleich kann entweder im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag geregelt sein.
- Die Grundvoraussetzungen, um angefallene Überstunden abbauen zu können: Sie müssen vom Arbeitgeber angeordnet beziehungsweise ausdrücklich geduldet sein sein und konkret erfasst werden.
- Grundsätzlich darf der Arbeitgeber entscheiden, wann Überstunden abgefeiert werden.
- Der Freizeitausgleich ist rechtlich nicht mit dem Erholungsurlaub gleichzusetzen.
- Sollte es keine Überstundenregelung im Arbeitsvertrag geben, solltest du mit deinem Arbeitgeber das Gespräch suchen.
Bitte lesen Sie zu dem Inhalt auch unsere Rechtshinweise.