10. November 2020, 17:09 Uhr
So geht's richtig Sozialauswahl bei Kündigungen: Wer muss gehen, wer bleibt?
Bei betriebsbedingten Kündigungen darf der Arbeitgeber nicht einfach nach Belieben Beschäftigte herauspicken und entlassen. Stattdessen muss er dabei Regeln einhalten und die sogenannte soziale Schutzbedürftigkeit der zu kündigenden Mitarbeiter berücksichtigen. Das heißt im Endeffekt, dass er eine Sozialauswahl zu treffen hat. Unter wann die vorgeschrieben ist und welche Kriterien dabei zu beachten sind, erfährst du hier.
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Wann kommt es zu einer Sozialauswahl?
Muss ein Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, dann stellt sich die Frage, welche der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter gehen sollen. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) schreibt bei ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl vor, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Das Unternehmen beschäftigt mehr als zehn Mitarbeiter. Kleinbetriebe müssen also keine Sozialauswahl vornehmen.
- Die Anzahl der für eine Kündigung infrage kommenden Mitarbeiter ist höher als die Zahl der geplanten Kündigungen.
- Zum Zeitpunkt der Kündigung sind die betreffenden Arbeitnehmer seit mehr als sechs Monaten im Unternehmen und fallen unter das Kündigungsschutzgesetz
Dazu ein Beispiel: Ein Unternehmen betreibt drei Läden, in denen insgesamt 45 Mitarbeiter tätig sind. Der Großteil davon Verkäufer, aber auch speziell geschulte Kundenberater, die flexibel eingesetzt werden und zwischen den Filialen wechseln. Nun ist die Auftragslage so schlecht, dass eines der Ladengeschäfte geschlossen und ein Drittel des Verkaufspersonals betriebsbedingt gekündigt werden soll. Das heißt, dass 15 der 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor der Entlassung stehen. Aber welche?
Feste Kriterien für die Sozialauswahl
Auf jeden Fall nicht automatisch jene, die am häufigsten in der Filiale gearbeitet haben, die stillgelegt wird. Stattdessen muss eine Sozialauswahl nach vier Kriterien stattfinden, um unter den 45 Angestellten die 15 festzulegen, die gehen müssen. Die relevanten Merkmale sind ...
- die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- das Alter,
- bestehende Unterhaltspflichten sowie
- eine eventuelle Schwerbehinderung der Beschäftigten.
Die Kriterien zur Sozialauswahl dürfen nur innerhalb einer vergleichbaren Gruppe von Mitarbeitern herangezogen werden. Das bedeutet, dass ausschließlich Personen auf gleicher Hierarchieebene dafür berücksichtigt werden dürfen. So müssen zum Beispiel Verkäufer mit Verkäufern und Fachberater mit Fachberatern verglichen werden.
Entscheidend ist dabei, dass die Mitarbeiter innerhalb einer Gruppe von ihren Aufgaben her untereinander austauschbar sind. Das kann der Fall sein, wenn in Ihren Arbeitsverträgen die gleiche Berufsbezeichnung steht.
Ablauf der Sozialauswahl in drei Schritten
Das Verfahren zur Sozialauswahl lässt sich grob in drei Etappen gliedern.
- Der Arbeitgeber stellt Gruppen von vergleichbaren Beschäftigten zusammen.
- Der Arbeitgeber prüft, ob Mitarbeiter in den Gruppen sind, die von der Sozialauswahl ausgenommen werden können. Das ist etwa möglich, wenn jemand besondere, für das Unternehmen wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die sich die Kollegen nicht ohne Weiteres aneignen können. Auch Mitglieder des Betriebsrats dürfen nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden.
- Der Arbeitgeber ermittelt anhand der vier Kriterien, welche Mitarbeiter den geringsten Kündigungsschutz genießen.
Hast du Zweifel an den Ergebnissen der Sozialauswahl und willst dagegen gerichtlich vorgehen, musst du deine Bedenken belegen können. Die Darlegungs- und Beweislast liegt nämlich bei dir. Um sie dir zu vereinfachen, regelt § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, dass dein Arbeitgeber auf Verlangen sein Vorgehen bei der Sozialwahl öffentlich machen muss.
- Im Normalfall sind betriebsbedingteKündigungenohne Sozialauswahl nicht möglich. Das gilt auch bei Kurzarbeit. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt Umstände, unter denen eine Sozialauswahl nicht möglich oder erforderlich ist. Das ist zum Beispiel so, wenn das ganze Unternehmen schließt und der gesamten Belegschaft gekündigt wird. Oder wenn Mitarbeiter vor der Kündigung stehen, die per Arbeitsvertrag nur für bestimmte Aufgaben einsetzbar sind und deshalb im Betrieb nicht per Weisung auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden können.
Punktesystem zur Bewertung der Sozialauswahl-Kriterien
Um seine Sozialauswahl zu objektivieren und transparenter beziehungsweise nachvollziehbar zu machen, kann der Arbeitgeber die Kriterien nach einem Punktesystem bewerten.
In der Praxis bedeutet das, dass er für jedes der vier Merkmale eine bestimmte Anzahl von Punkten vergibt. Zum Beispiel:
- ein Punkt für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit
- ein Punkt für jedes Jahr des Lebensalters
- vier Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind bzw. acht Punkte für unterhaltsberechtigte Ehegatten
- fünf Punkte für Schwerbehinderung bis 50 Prozent, bei mehr als 50 Prozent ein weiterer Punkt je zehn Prozentpunkte
Punktesysteme wie dieses wurden vom Bundesarbeitsgericht (BAG) für zulässig erklärt. Vorgeschrieben sind sie jedoch nicht. Und auch für die Gewichtung der einzelnen Kriterien gibt es keine konkrete Regelung. Laut Urteil des BAG hat der Arbeitgeber hier einen Wertungsspielraum (AZ 2 AZR 812/05). Bei rechtlichen Streitigkeiten kommt es somit auf den Einzelfall an.
Wichtig: Entscheidet sich der Arbeitgeber für ein Punktesystem, so ist dieses laut § 95 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) mitbestimmungspflichtig. Das bedeutet, das System muss mit dem Betriebsrat abgesprochen und von ihm genehmigt werden. Eine entsprechende Regelung lässt sich auch in einer Betriebsvereinbarung festlegen.
- In Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern muss bei Kündigungen in der Regel eine Sozialauswahl stattfinden.
- Entscheidend sind die vier Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung der Beschäftigten.
- Für die Sozialauswahl kann der Arbeitgeber ein mitbestimmungspflichtiges Punktesystem verwenden. Er ist aber nicht dazu verpflichtet.
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