21. September 2021, 9:15 Uhr
Darf ich eigentlich? Kinder enterben: Kann man den Pflichtteil entziehen?
Der Gedanke, die eigenen Kinder enterben wollen, entsteht manchmal im Streit – oder weil zum Sohn oder zur Tochter seit Jahren kein Kontakt mehr besteht. Doch so ganz einfach ist es nicht, die Abkömmlinge komplett auszuschließen. Denn Kinder können einen Pflichtteil vom Erbe einfordern. Es gibt dennoch Fälle, in denen Erblasser verhindern können, dass ein ungeliebter Sprössling etwas von ihrem Nachlass abbekommt. Dazu müssen sie zusätzlich zur Enterbung auch den Pflichtteil entziehen.
Mit einem Rechtsschutz bist du für Streit in schwierigen Lebenslagen gerüstet. >>
Nicht ganz dasselbe: Enterben und Pflichtteil entziehen
"Wenn du das tust, enterbe ich dich!" Diese Drohung gegenüber dem eigenen Kind ist im Streit schnell ausgesprochen. Jedoch ist eine komplette Enterbung nur in seltenen Fällen möglich. Dem Kind bleibt zunächst sein Pflichtteilsanspruch auf einen Teil des Nachlasses seiner Eltern. Dieser Anspruch soll enge Angehörige vor einer willkürlichen Enterbung schützen.
Denn: In ihrem Testament können Erblasser verfügen, dass die gesetzliche Erbfolge in ihrem Fall nicht gelten soll. Sie können stattdessen bestimmte Personen als Erben einsetzen und andere davon ausschließen – sie also enterben. Sie können auch eine Person als Alleinerben einsetzen. Wenn sie jemanden auf diese Weise enterben, der sonst erbberechtigt gewesen wäre, müssen sie im Testament keinen Grund dafür angeben. Das Enterben ist auch möglich, ohne ein Fehlverhalten wie etwa groben Undank belegen zu müssen.
Jedoch können die Kinder des Erblassers dann immer noch einen Anspruch auf ihren Pflichtteil erheben. Sie erhalten in diesem Fall die Hälfte dessen, was ihnen per gesetzlicher Erbfolge zugestanden hätte. Wer diese Möglichkeit ebenfalls ausschließen möchte, muss seinen Kindern ausdrücklich den Pflichtteil entziehen. Das ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Welche Gründe berechtigen zum Entziehung des Pflichtteils?
Ein einmaliger Streit oder ein jahrelang eingeschlafener Kontakt zwischen Eltern und Kindern reicht als alleinige Grundlage nicht aus, um den Pflichtteil zu entziehen. Das darf nach § 2333 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur geschehen, wenn einer der folgenden gewichtigen Gründe vorliegt:
- Die erbberechtigte Person hat dem Erblasser oder seinen engen Angehörigen nach dem Leben getrachtet;
- ein Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen gegen ihn oder enge Angehörige begangen;
- oder ihre gesetzliche Unterhaltspflicht dem Erblasser gegenüber böswillig vernachlässigt.
Auch wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat mindestens ein Jahr lang im Gefängnis, in einer psychiatrischen Klinik oder Entzugsanstalt verbracht hat und es dem Erblasser nicht zuzumuten ist, ihm etwas hinterlassen zu müssen, ist die Entziehung des Pflichtteils möglich.
Die Pflichtteilsentziehung unter diesen Voraussetzungen ist gegenüber den eigenen Kindern sowie deren Nachkommen und auch gegenüber dem Ehepartner möglich. Auch den eigenen Eltern kann der Pflichtteil entzogen werden, sofern sie Anspruch darauf haben und ein entsprechender Grund vorliegt.
Wenn der Erblasser das Fehlverhalten hingegen verzeiht, wird die Pflichtteilsentziehung gemäß § 2337 BGB unwirksam. Der Erblasser gibt mit der Verzeihung das Recht auf, dem Betroffenenen den Pflichtteil wegen derselben Verfehlung erneut zu entziehen.
Das ist bei einer Pflichtteilsentziehung zu beachten
Wer eine gesetzlich erbberechtigte Person enterben möchte und zudem ausschließen will, dass sie noch einen Pflichtteil erhält, kann dies im Testament oder in einem Erbvertrag vermerken.
Wichtig: Es muss dabei ein Grund gemäß § 2333 BGB für die Entziehung angegeben werden. Beispiel: “Ich entziehe meiner Tochter XY den Pflichtteil, da sie mir mehrfach Geldbeträge in Höhe von insgesamt 9.500 Euro gestohlen hat.” Der Sachverhalt sollte mit Zeit, Ort und Ablauf möglichst konkret geschildert werden. Wie das Oberlandesgericht Celle entschieden hat, ist auch die Formulierung “Ich enterbe die Person XY, weil...” als Entziehung des Pflichtteils zu verstehen, wenn ein zulässiger Entziehungsgrund genannt wird (AZ 22 W 77/01).
Es ist immer zu empfehlen, sich von einem Rechtsanwalt oder Notar bezüglich der konkreten Formulierung beraten zu lassen. Ansonsten besteht das Risiko, dass die Entziehung des Pflichtteils in einem möglichen Rechtsstreit zwischen dem Enterbten und den Erben später vor Gericht keinen Bestand hat.
Wer zusätzlich zum Kind auch dessen Kinder vom Erbe ausschließen will, muss dies im Testament oder Erbvertrag zusätzlich festhalten. 2017 entschied das Oberlandesgericht Hamm zugunsten eines Mannes, der einen Pflichtteil vom Nachlass seines Großvaters forderte (AZ 10 U 31/17). Der verstorbene Großvater hatte seine beiden Söhne durch ein Testament wirksam enterbt und ihnen aufgrund von Verfehlungen den Pflichtteil entzogen, seinen Enkel – das uneheliche Kind eines Sohnes – jedoch nicht. Die im Testament Begünstigten mussten dem Enkel deshalb seinen Pflichtteil auszahlen.
Pflichtteilsentziehung anfechten: Geht das?
Angehörige, die der Meinung sind, dass ihnen der Pflichtteil zu Unrecht entzogen wurde, können diesen trotzdem zunächst einfordern und gegebenenfalls einklagen. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens kann dann festgestellt werden, ob die Entziehung tatsächlich rechtens ist.
Wie der Bundesgerichtshof festgestellt hat, können betroffene Angehörige schon zu Lebzeiten des Erblassers überprüfen lassen, ob eine im Testament festgehaltene Pflichtteilsentziehung wirksam ist oder nicht (AZ IV ZR 123/03). Das sollte aber der letzte Schritt sein: Besser ist es, rechtzeitig das Gespräch zu suchen, um den familiären Konflikt vielleicht doch noch auf gütliche Weise zu klären.
Bitte lesen Sie zu dem Inhalt auch unsere Rechtshinweise.