Betriebliche Übung: So entstehen Ansprüche © iStock.com/shironosov

16. Oktober 2024, 15:17 Uhr

Durchatmen Betrieb­li­che Übung im Arbeits­recht: Defi­ni­ti­on und Beispiele

Über Weihnachtsgeld freuen sich Arbeitnehmer sehr. Wenn im Vertrag nichts festgehalten ist, ist die Leistung umso erfreulicher – aber was, wenn das Weihnachtsgeld nach einigen Jahren plötzlich ausbleibt? Hier kommt die betriebliche Übung ins Spiel. Sie regelt, wann für Arbeitnehmer durch langjährige, freiwillige Leistungen des Arbeitgebers Ansprüche entstehen. Was du hierzu wissen musst, erklären wir dir in diesem Ratgeber.

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Was ist eine betrieb­li­che Übung?

In vielen Unternehmen werden Bonusleistungen wie Weihnachtsgeld oder bestimmte Arbeitszeitregelungen regelmäßig umgesetzt oder gewährt, sind aber nicht im Arbeitsvertrag festgehalten. Wenn sich solche Vorteile über Jahre hinweg etablieren, nennt sich das „betriebliche Übung“ oder auch „Betriebsübung“ – die auch ohne vertragliche Regelungen greift.

Diese Betriebsübung ist ein rechtliches Prinzip, bei dem Arbeitnehmer durch wiederholte, freiwillige Handlungen des Arbeitgebers Ansprüche erwerben können. Angestellte dürfen unter bestimmten Umständen berechtigterweise davon ausgehen, dass die betreffende Praxis – etwa die Auszahlung von Weihnachtsgeld – auch in Zukunft fortgesetzt wird.

Rechtlich basiert die betriebliche Übung auf dem Grundsatz von Treu und Glauben, der in § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt ist. Demnach kann der Arbeitgeber nicht willkürlich von einer eingeführten Praxis abweichen, wenn diese über mehrere Jahre gleichmäßig angewendet wurde.

Dabei gibt es für den Begriff „betriebliche Übung“ im Gesetz grundsätzlich keine Definition, durch richterliche Entscheidungen wurde dieser jedoch im Arbeitsrecht fest verankert.

Info

Wann entsteht ein Anspruch aus betrieb­li­cher Übung?

Damit eine betriebliche Übung zu einem rechtlichen Anspruch führt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Regel­mä­ßig­keit: Die Leis­tun­gen müssen regel­mä­ßig wie­der­holt werden.
  • Vor­be­halt­lo­sig­keit: Die Leis­tun­gen müssen ohne Vorbehalt gewährt werden.
  • Dauer: Die Leis­tun­gen müssen über einen längeren Zeitraum gewährt werden, in der Regel min­des­tens drei Jahre.

Habe ich Anspruch auf Weih­nachts­geld & Co.?

Entsteht durch betriebliche Übung ein Anspruch, hat der Arbeitnehmer das Recht, die entsprechende Leistung weiterhin zu erhalten. Der Arbeitgeber darf die Leistungen also nicht einfach einstellen oder ohne Absprache ändern, da sich der Anspruch rechtlich gefestigt hat.

Ein klassisches Beispiel ist die regelmäßige Zahlung von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld. Wenn ein Arbeitgeber dieses über mindestens drei Jahre in gleicher Höhe – oder auf gleiche Weise, etwa als bestimmten Prozentsatz vom Gehalt – zahlt, kann für die Arbeitnehmer ab dem vierten Jahr ein rechtlicher Anspruch darauf entstehen.

Weitere Beispiele für betriebliche Übung sind etwa:

  • Anwendung von bestimm­ten Arbeits­zeit­mo­del­len, etwa Gleitzeit, Ver­trau­ens­ar­beits­zeit u. ä.
  • Anwendung bestimm­ter Tarifverträge
  • die Mög­lich­keit, aus dem Home­of­fice zu arbeiten
  • Fir­men­park­plät­ze
  • Jubi­lä­ums­bo­ni
  • Übernahme von Weiterbildungskosten
  • Zuschüsse zu Fahrt­kos­ten oder zur Kantine
© iStock.com/skynesher

Keine betrieb­li­che Übung durch Freiwilligkeitsvorbehalt

Arbeitgeber haben jedoch die Möglichkeit, die Entstehung einer betrieblichen Übung zu verhindern, indem sie einen sogenannten Freiwilligkeitsvorbehalt in ihre Leistungserbringungen aufnehmen, also in den Arbeitsvertrag oder in die schriftliche Ankündigung einer Sonderzahlung.

Dadurch behalten sich Arbeitgeber das Recht vor, freiwillige Leistungen jederzeit einstellen zu können. Dieser Vorbehalt muss klar kommuniziert und dokumentiert werden.

Folgende Formulierung – ausgelegt für den Arbeitsvertrag – ist laut Bundesarbeitsgericht (BAG) rechtswirksam (AZ 10 AZR 219/08):

„Die Gewährung sonstiger Leistungen (zum Beispiel Weihnachts- und Urlaubsgeld, 13. Gehalt etc.) durch den Arbeitgeber erfolgen freiwillig und mit der Maßgabe, dass auch mit einer wiederholten Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird.“

Info

Arbeits­ver­trag: Wann ist der Frei­wil­lig­keits­vor­be­halt nicht rechtswirksam?

Anders urteilte das BAG beispielsweise über die folgende Klausel in einem Arbeitsvertrag (AZ 10 AZR 526/10): „Sonstige, in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Arbeitnehmer dadurch keinen Rechtsanspruch für die Zukunft.“

Durch die Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt ist die Formulierung unklar. Der Arbeitnehmer wird zudem durch den allumfassenden Vorbehalt unangemessen benachteiligt. Deshalb betrachtete das BAG die Klausel als unwirksam – der Kläger hatte in der vorliegenden Situation durch betriebliche Übung einen Rechtsanspruch auf ein 13. Monatsgehalt erworben.

Negative betrieb­li­che Übung: So erlöschen Ansprüche

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Eine bestehende Betriebsübung kann auch noch auf andere Weise zurückgenommen werden: durch die negative betriebliche Übung. Hier gewährt der Arbeitgeber den Angestellten eine bisher gewährte Leistung, etwa bestimmte Vergünstigungen oder finanzielle Vorteile, über einen längeren Zeitraum nicht mehr.

Akzeptieren die Arbeitnehmer das stillschweigend, kann das Recht auf diese Leistung erlöschen. Wichtig ist jedoch, dass der Verzicht auf den Anspruch nicht ausdrücklich vom Arbeitnehmer eingefordert wird – es ist vielmehr die passive Akzeptanz, die eine negative betriebliche Übung entstehen lässt.

Fazit

  • Eine betrieb­li­che Übung entsteht durch wie­der­hol­te, frei­wil­li­ge Leis­tun­gen des Arbeit­ge­bers, etwa Weih­nachts­geld oder Homeoffice-Regelungen.
  • Erbringt der Arbeit­ge­ber solche Leis­tun­gen min­des­tens drei Jahre lang in gleicher Form und ohne Vorbehalt, können für Arbeit­neh­mer dadurch Ansprüche entstehen.
  • Arbeit­ge­ber können die Ent­ste­hung einer Betriebs­übung ver­hin­dern, indem sie einen Frei­wil­lig­keits­vor­be­halt in den Arbeits­ver­trag oder in die Mit­tei­lung über eine Son­der­zah­lung aufnehmen.
  • Wenn Leis­tun­gen unkom­men­tiert ein­ge­stellt werden und Arbeit­neh­mer dies akzep­tie­ren, können durch negative betrieb­li­che Übung bestehen­de Ansprüche erlöschen.
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