15. September 2021, 8:30 Uhr
Durchatmen Impfung bei Kindern: Wer entscheidet im Streitfall?
Wenn sich die Eltern oder Sorgeberechtigten nicht einigen können, ob ihr Kind einen bestimmten Impfstoff erhalten soll, kann ein Gericht die Entscheidung auf einen Elternteil oder Sorgeberechtigten übertragen. Das ist auch dann möglich, wenn zum Beispiel nach einer Trennung ein gemeinsames Sorgerecht besteht.
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Gemeinsames Sorgerecht: Wie schwer wiegt eine Impfentscheidung?
Häufig haben Eltern – auch nach einer Trennung oder Scheidung – das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder. Dies betrifft auch wichtige Entscheidungen in Bezug auf das Kind. § 1687 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelt für den Fall getrennt lebender Eltern, die gemeinsames Sorgerecht haben:
- Geht es um Angelegenheiten des täglichen Lebens, zum Beispiel einen Schuhkauf oder ein Entschuldigungsschreiben für die Schule, darf der Elternteil, bei dem das Kind lebt, allein entscheiden.
- Daneben gibt es Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, bei denen sich die Eltern einig werden müssen – wie etwa die Zustimmung zu einer Operation oder darüber, welche weiterführende Schule das Kind besuchen soll.
Die Frage, ob Impfungen Alltagsentscheidungen sind, die ein Elternteil allein treffen darf, oder ob sich hier beide Elternteile einig werden müssen, hat in den vergangenen Jahren einige Gerichte beschäftigt. Der Streitpunkt jeweils: Wer entscheidet letztlich, ob das Kind geimpft wird, wenn ein Elternteil für die Impfung ist und der andere dagegen?
Gerichtsurteile: Impfung nicht alltäglich – STIKO-Empfehlung maßgeblich
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte 2017 einen solchen Fall zu entscheiden (AZ XII ZB 157/16). Die Eltern lebten getrennt und hatten ein gemeinsames Sorgerecht für die kleine Tochter, die bei der Mutter wohnte. Für das Kind standen altersentsprechende Schutzimpfungen an. Der Vater war dafür, die Mutter lehnte das wegen eventuell drohender Impfschäden ab.
Ebenso wie die Vorinstanzen entschied der BGH: Schutzimpfungen seien keine alltägliche Angelegenheit nach 1687 BGB. Insofern sei die Mutter nicht allein entscheidungsbefugt. Wie aber sollten die Eltern nun zu einer Entscheidung kommen? Hier kam § 1628 BGB ins Spiel, nach dem gilt: Wenn sich Eltern bei bestimmten Entscheidungen mit erheblicher Bedeutung für das Kind nicht einig sind, kann die Entscheidungsbefugnis auf Antrag gerichtlich auf einen Elternteil übertragen werden.
Hinsichtlich der Impfungen erkannte der BGH die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) als medizinischen Standard an – daran hatte sich auch der Vater orientiert. Aus diesem Grund entschied der BGH für diesen Fall, dass der Vater für die Entscheidung über die Schutzimpfungen besser geeignet sei.
Auch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main urteilte 2015 und 2021 in zwei unterschiedlichen Fällen: Die Impfentscheidung sei nicht alltäglich und habe erhebliche Bedeutung (AZ 6 UF 150/15, AZ 6 UF 3/21). Es wurde bezüglich der Schutzimpfungen für die Kinder jeweils im Sinne desjenigen Elternteils entscheiden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folgen wollte.
Streit um Corona-Impfung für einen 16-Jährigen
Im März 2021 erging am OLG Frankfurt am Main das erste Urteil im Streit um eine Corona-Schutzimpfung für einen Minderjährigen. Im konkreten Fall wollte sich ein knapp 16-jähriger Jugendlicher gegen Covid-19 impfen lassen. Auch sein Vater war dafür, die Mutter jedoch war dagegen. Auf Antrag des Vaters übertrug diesem das zuständige Amtsgericht die alleinige Entscheidungsbefugnis. Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein, die das OLG Frankfurt abwies (AZ 6 UF 120/21).
Auch hier entschieden die Richter: Die STIKO-Impfempfehlung gibt den Ausschlag. Da der Jugendliche eine Vorerkrankung und daher ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf hatte, lag die Impfempfehlung im März 2021 bereits vor. Hinzu kam, dass laut dem Gericht nach § 1697a BGB auch der Kindeswille zu berücksichtigen sei. Ein annähernd 16-Jähriger sei durchaus schon in der Lage, Nutzen und Risiken einer Impfung abzuwägen und sich seine eigene Meinung zu bilden, so das Gericht.
Jugendliche: Impfung nur mit Zustimmung der Eltern?
Mittlerweile (Stand: September 2021) empfiehlt die STIKO die Covid-19-Impfung grundsätzlich auch für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. In Bezug auf die Zustimmung der Eltern oder Sorgeberechtigten gilt für Schutzimpfungen generell:
- Wer 16 Jahre oder älter ist, braucht in der Regel keine Erlaubnis der Eltern, sondern darf selbst entscheiden.
- Bei Jugendlichen etwa zwischen 14 und 16 Jahren entscheidet der Impfarzt nach einem Aufklärungsgespräch, ob bereits eine ausreichende Einsichtsfähigkeit beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit gegeben ist – das heißt: ob der oder die Jugendliche erfassen kann, welche Bedeutung und Tragweite die Impfung hat.
- Bei Kindern beziehungsweise Jugendlichen etwa zwischen 12 und 14 Jahren ist die Zustimmung der Eltern häufig noch erforderlich, weil nicht ohne Weiteres von einer ausreichenden Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden kann.
Die Altersgrenzen sind jedoch fließend, es kommt auf den jeweiligen Einzelfall an. Wenn die Zustimmung erforderlich ist, müssen beide Eltern sie erteilen – und sich im besten Fall einig werden.
Rechtlich kompliziert kann es werden, wenn die Eltern die Impfung befürworten, das Kind aber nicht möchte. Dann kommt es ebenfalls darauf an, wie reif und einsichtsfähig der oder die Jugendliche bereits ist. Hier spielt die ärztliche Einschätzung eine wichtige Rolle. Überwiegt bei Ärzten der Eindruck einer gut überlegten und abgewogenen Entscheidung eines älteren Jugendlichen, ist eine Impfung gegen dessen Willen unwahrscheinlich. Es ist in anderen Fällen aber vorstellbar, dass die Entscheidung den Eltern übertragen wird.
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