Patientenverfügung schließt Zwangsbehandlung nicht immer aus iStock / dolgachov

23. Januar 2020, 13:14 Uhr

Bei Gefahr für die Allgemeinheit Pati­en­ten­ver­fü­gung schließt Zwangs­be­hand­lung nicht immer aus

Nicht immer ist eine Patientenverfügung verbindlich. Wichtiger als die Willenserklärung ist gegebenenfalls der Schutz der Allgemeinheit. Deshalb kann eine unerwünschte Zwangsbehandlung psychisch Kranker rechtens sein. Das hat das Landgericht Osnabrück in einem aktuellen Urteil entschieden.

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Von Patienten darf keine Gefahr ausgehen

Mit einer Patientenverfügung wollen Menschen verbindlich regeln, welche Behandlung sie bei einer schweren und gegebenenfalls todbringenden Erkrankung zulassen. Sie gilt für den Fall, dass sie vorübergehend oder dauerhaft nicht selbst über die Art ihrer medizinischen Versorgung entscheiden können. Die eigenen Bestimmungen haben allerdings Grenzen. Nämlich dann, wenn die Anordnungen in der Patientenverfügung dem Schutz der Allgemeinheit entgegenstehen. Diesen Beschluss (AZ 4 T 8/20 - 4 T 10/20) hat jetzt das Landgericht (LG) Osnabrück gefasst.

Gemeinde darf Zwangs­be­hand­lung anordnen

Bei der Entscheidung geht es um eine psychisch erkrankte Person, die sich gegenüber seinen Mitmenschen sexuell enthemmt und aggressiv verhielt. Deshalb ordnete eine Gemeinde die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung und die zwangsweise Versorgung mit Medikamenten an. Rechtsgrundlage dafür war das Niedersächsische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke.

Zudem war der Betroffene auch körperlich lebensbedrohlich erkrankt, wollte sich aber nicht dagegen behandeln lassen. Diese Verweigerung führte die Gemeinde ebenfalls auf die psychischen Probleme  zurück. Das Amtsgericht (AG) Osnabrück folgte der Gemeinde und ließ die beantragte Zwangsbehandlung zu. Dabei verwies es auf die Gefahr, die von der betroffenen Person für sich und andere ausgehe.

Keine Pati­en­ten­ver­fü­gung im her­kömm­li­chen Sinn

Damit war die Person nicht einverstanden und legte Beschwerde beim Landgericht Osnabrück ein, weil die Entscheidung ihrer Patientenverfügung widersprach. Darin hatte sie "jede Zwangsbehandlung egal mit welchen als Medikamenten bezeichneten Stoffen" abgelehnt. Außerdem sei ihre "Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung strikt und verbindlich und unter allen Umständen zu unterbinden".

Die Patientenverfügung basiert auf einem Online-Muster einer Initiative, die sich nach Einschätzung des Gerichts "in politischer Weise gegen bestimmte Formen der psychiatrischen Behandlung" richte. Dies müsse bei der Auslegung der Verfügung besonders berücksichtigt werden.

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Sicher­heit Dritter geht vor Selbstbestimmungsrecht

Das LG Osnabrück wies die Beschwerde des Erkrankten zurück, da es die Patientenverfügung hier als nicht verbindlich ansah. In der Vorlage werde zwar eine psychiatrische Zwangsbehandlung abgelehnt. Die Initiative wende sich aber nicht gegen die Therapie körperlicher Krankheiten.

Da die Person aber auch davon betroffen sei und durch den Widerspruch auch ihre physische Genesung aufs Spiel setze, sei in diesem Fall eine Zwangsbehandlung gerechtfertigt – trotz anderslautender Patientenverfügung. Wichtiger als Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen seien hier die Rechte und die Sicherheit anderer Personen.

Grund­sätz­li­cher Klä­rungs­be­darf vorhanden

Außerdem sollen Einweisung und medikamentöse Zwangsbehandlung die geistige Gesundheit der Person wiederherstellen. Gehe anschließend keine Gefahr mehr von ihr aus, könne sie wieder ein selbstbestimmtes Leben führen.

Allerdings sieht das Landgericht Osnabrück noch grundsätzlichen Klärungsbedarf bei diesem Thema. Deshalb lässt es eine Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof zu, um eine höchstrichterliche Entscheidung anzustoßen.

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