
27. Februar 2019, 13:50 Uhr
Gerichtsurteil Testierfreiheit des Erblassers endet bei der Besuchspflicht
Die Testierfreiheit eines Erblassers hat gewisse Grenzen – etwa, wenn das Erbe an eine Besuchspflicht geknüpft wird, die als sittenwidrig zu betrachten ist. Das erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem aktuellen Urteil (AZ 20 W 98/18). Darin ging es um zwei Enkel, die vom Erbe ausgeschlossen werden sollten, weil sie den Großvater nicht regelmäßig besucht hatten.
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Großvater erlegte Enkeln Besuchspflicht auf
Im konkreten Fall hätten die Enkel nur dann erben sollen, wenn sie ihren Großvater mindestens sechsmal pro Jahr besucht hätten. Diese Zahl an Besuchen hatten die damals minderjährigen Kinder nicht erreicht. Nach dem Willen des Erblassers sollten sie daher leer ausgehen – dagegen klagten sie erfolgreich.
Der Großvater hatte festgelegt, dass eine Hälfte des Erbes zu gleichen Teilen unter seiner Frau und seinem Sohn aus erster Ehe aufgeteilt werden sollte. Die andere Hälfte sollte bei Erfüllung der Besuchspflicht zu gleichen Teilen an die beiden Enkelkinder (Kinder eines anderen Sohnes) gehen – oder sonst ebenfalls unter der Frau und dem Sohn aus erster Ehe aufgeteilt werden.
Enkel erben auch ohne Besuche
Das OLG Frankfurt am Main entschied: Entgegen dem Wunsch des Erblassers müssen die beiden Enkelkinder bei der Erbenstellung berücksichtigt werden, obwohl sie ihrer Besuchspflicht nicht nachgekommen waren. Der Grund: Eine solche Forderung sei sittenwidrig und damit nichtig.
Das Gericht zog den hypothetischen Willen des Erblassers heran: Die Tatsache, dass er seine Enkel grundsätzlich in seinem Testament bedacht hatte und offenkundig eine enge Bindung wünschte, lasse annehmen, dass es in seinem Interesse sei, dass die Enkel zu Erben werden.
Testierfreiheit muss sich im Rahmen der guten Sitten bewegen
Weiterhin erklärte das Gericht: Die Testierfreiheit ist gemäß Artikel 14 Grundgesetz (GG) ein Grundrecht, das dem Erblasser die Option gibt, die Erbfolge nach seinen Wünschen zu regeln. Dass mögliche Bedingungen, die daran geknüpft werden, die Kriterien der Sittenwidrigkeit erfüllen, sei nur in besonders schweren Fällen anzunehmen.
Ein solch schwerer Fall bestehe aber durchaus, wenn der Erblasser seine Testierfreiheit nutzt, um die potenziellen Zuwendungsempfänger unter Druck zu setzen – insbesondere, wenn damit Handlungen bewirkt werden sollen, die üblicherweise eine "freie innere Überzeugung" voraussetzen. Ob Bedingungen im Einzelfall als sittenwidrig gelten, hänge auch davon ab, ob sie nach dem allgemeinen Anstandsgefühl als billig und gerecht gelten können oder nicht. Mit seiner auferlegten Besuchspflicht habe der Großvater diese Grenze überschritten.
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