3. Juli 2023, 10:04 Uhr
Darf ich eigentlich? Dieselskandal: BGH-Urteil zur Entschädigung für Autofahrer
Vom Dieselskandal waren Millionen Käufer von Dieselfahrzeugen betroffen: Illegal eingebaute Software führte zu falschen Werten bezüglich des Stickoxid-Ausstoßes. Ein wichtiges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) setzt fest, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen Entschädigung verlangen können. Alles Wichtige zum Thema erfährst du in diesem Artikel.
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Entschädigung für Verbraucher: Diesel-Urteil schafft Klarheit
Seit Bekanntwerden des Abgasskandals bei Dieselfahrzeugen fragen sich Autobesitzer, ob ihnen Schadensersatz zusteht – und wenn ja, in welcher Höhe. Bislang sprach der Bundesgerichtshof den Käufern je nach Art der eingebauten Technik Schadensersatz zu oder verneinte diesen. Ein weiteres Urteil des Bundesgerichtshofes hat die Sachlage im Juni 2023 geändert. Mehrere Verfahren gingen vor Gericht zugunsten der Autofahrer aus, doch in vielen Fällen konnten sie keinen Anspruch auf Entschädigung geltend machen.
Der BGH entschied in drei Fällen, dass Autohersteller grundsätzlich Schadensersatz an Käufer von Dieselfahrzeugen zahlen müssen, die mit sogenannter Thermofenstertechnik ausgestattet sind (AZ VIa ZR 335/21, AZ VIa ZR 533/21, AZ VIa ZR 1031/22). Zuvor ergangene Urteile von Gerichten, die Schadensersatzansprüche zurückgewiesen hatten, hob der BGH auf.
Geklagt hatten Autobesitzer gegen die Autohersteller Audi, Mercedes-Benz und Volkswagen. Deren Dieselfahrzeuge Audi SQ5, Mercedes C-Klasse und VW-Passat sind mit Thermofenstern ausgestattet, die Schadstoffe nur bei bestimmten Temperaturen ausreichend filtern.
Was bedeuten „Thermofenster” bei Dieselfahrzeugen?
Thermofenster sind temperaturgesteuerte Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung. Die Thermofenstertechnik beruht auf einer automatischen Regulierung der Abgasreinigung, sobald sich die Außentemperaturen außerhalb eines vorgegebenen Rahmens befinden.
Bei zu niedrigen oder zu hohen Temperaturen könnte bei Vorhandensein eines solchen Thermofensters die Abgasreinigung gedrosselt werden. Dies bedeutet, dass auch die Schadstoffgrenzwerte für Stickoxid nur bei bestimmten Außentemperaturen eingehalten werden können.
Sittenwidrige Täuschung: Bisher Nachweispflicht für Autokäufer
Der Bundesgerichtshof urteilte 2020 gegen den Automobilkonzern VW, dass dieser mit dem Einbau einer sogenannten Prüfstandserkennung eine laut § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) „sittenwidrige Täuschung” zum Nachteil der Autokäufer begangen habe, und schuf so einen Präzedenzfall für nachfolgende Schadensersatzklagen gegen Autohersteller.
Allerdings war es für betroffene Pkw-Käufer, in deren Fahrzeugen Thermofenster verbaut waren, lange Zeit schwierig, Schadensersatz einzuklagen. Denn Kläger mussten Autoherstellern bewusste Manipulation nachweisen, was bei Thermofenstern oder vergleichbaren Abschalteinrichtungen erheblich schwerer ist als bei der Prüfstandserkennung.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im März 2023 allerdings im Sinne der Verbraucher: Diese sollten auch dann eine Entschädigung erhalten, wenn die Autohersteller gemäß § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) lediglich fahrlässig gehandelt hätten (AZ C 100/21). Der EuGH verringerte die vom BGH aufgestellten Anforderungen für Schadensersatz bezüglich der Thermofenstertechnik. Grundlage: Der bloße Einbau von illegalen Abschalteinrichtungen sei fahrlässig gegenüber den Verbrauchern und berechtige Dieselkäufer zu Schadensersatz. Der EuGH legte somit den Grundstein für das BGH-Urteil gegen VW, Mercedes und Audi von Juni 2023.
Abgasskandal: Illegale Software in Dieselfahrzeugen
2015 gestand der VW-Konzern als erster Autohersteller, illegale Software in Form von Prüfstanderkennungstechnik in Automobilen verbaut zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Grenzwerte für Stickoxide auf dem Prüfstand eingehalten wurden, obwohl der Schadstoffausstoß in der Praxis deutlich höher war.
Viele getäuschte Autofahrer klagten zunächst erfolglos gegen den Konzern. Erst der BGH entschied im Mai 2020 (IV ZR 252/19) zugunsten der Käufer von Fahrzeugen mit Prüfstandserkennung. VW sollte demgemäß betroffene Fahrzeuge zurücknehmen und den Kaufpreis erstatten. Die von den Käufern gefahrenen Kilometer wurden hierbei jedoch abgezogen.
Wie mache ich Anspruch auf Schadensersatz geltend?
Hast du in den letzten Jahren einen dieselbetriebenen Wagen mit eingebauter Thermofenster-Technik gekauft, kannst du Schadensersatz gegenüber dem Autohersteller geltend machen. Wichtig zu wissen: Betroffene Autokäufer sollten nicht mit der Erstattung des vollen Kaufpreises rechnen. Es ist jedoch möglich, einen Teil des ursprünglichen Kaufpreises zurückzuerhalten. Der BGH hat in den Entscheidungen vom Juni 2023 eine Ersatzzahlung von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises festgesetzt. Ein Abzug für gefahrene Kilometer ist hierbei möglich. Das betroffene Fahrzeug verbleibt dann beim Käufer.
Entscheidest du dich, rechtliche Schritte zu gehen, empfiehlt es sich, zuvor juristischen Rat einzuholen. Denn potenzielle Kläger müssen vor Gericht unter anderem nachweisen, dass in ihrem Pkw eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist. Gelingt dies, muss der Hersteller beweisen, dass er nicht schuldhaft gehandelt hat.
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